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Feuer auf dem Asphalt _ Über die magische Macht der Kopie (Andrea van der Straeten)
Als vor genau 150 Jahren Karl Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie feststellte, dass die Waren die Beziehungen zwischen Personen weitgehend substituiert hätten und uns als phantasmagorische Wesen beherrschen würden, wird er an das Automobil vielleicht gar nicht gedacht haben, denn man experimentierte noch mit Dampf- oder Gasmotoren. Bis zur eigentlichen Geburtsstunde des Automobils 1886 sollten noch 19 Jahre vergehen. Kaum ein Objekt wurde seither aber so zum Fetisch wie das Auto und dient als Distinktionsmedium zwischen Macht und Ohnmacht, Arm und Reich. Diskussionen über CO2 Belastung und Feinstaub ändern nichts daran, dass das Auto auch heute noch größte Begehrlichkeit auslöst. Da erscheint es fast zwangsläufig, dass aus der Linzer Werkstatt von Johannes Langeder nun ein weiteres automobiles Modell der Öffentlichkeit vorgestellt wird, nachdem das erste, der schon legendäre Ferdinand GT3 RS so außerordentlich erfolgreich war.
Mit der Entwicklung seines neuen ultimativen Supersportwagens wagt Langeder einen Blick in die Zukunft, denn anders als bei seiner Nachahmung der Ikone 911 ist das neue Modell eine Art hellseherische Vorwegnahme eines Fahrzeugs, das noch gar nicht auf dem Markt ist. Fahrradi – in diesem Namen lässt er geschickt sowohl die Referenzmarke als auch das wesentliche Konstruktionsprinzip gleichzeitig anklingen – hat im wörtlichsten Sinn die gleichen Rahmenbedingungen wie sein Vorgänger: eine perfekt imitierte Karosserie aus leichten Rohren und Klebeverbindungen verbirgt eine Fahrradkonstruktion als Antrieb und dampft die circa 700 PS des Vorbildes auf 1 – 2 Menschenstärken ein. Johannes Langeder entlässt seine Fahrzeuge stets in den realen Verkehr, aber statt mit dem erwarteten sonoren Motorengeräusch setzen sie sich lautlos und mit der schwerelosen Eleganz eines Schmetterlings in Bewegung. Es ist dieser Überraschungsangriff auf bestehende Wahrnehmungsmuster, das täuschende Spiel um Köder und Beute, Tarnung und Entdeckung, was die Automobil-Objekte des Künstlers so erfolgreich macht, dass sie das Interesse unterschiedlichster Öffentlichkeiten auf sich ziehen und sowohl in einem Herrenmagazin in Malaysia als auch einer deutschen Kultursendung, in einer New Yorker Schulbuchbeilage oder im britischen TopGear erscheinen können. Es gelingt dem Künstler, uns unterschiedliche Zusammenhänge zugleich erkennen zu lassen: das in unserer Informationsgesellschaft der Tausch von Aufmerksamkeit dem Tausch von Waren und Geld äquivalent geworden scheint und mit den bewährten Methoden der theoretischen Ökonomie analysiert werden kann, wie Georg Frank in seiner Ökonomie der Aufmerksamkeit feststellte, vor allem aber zeigt er uns, dass die Taktik einer nachahmenden Magie ein taktiles Erkennen ermöglicht. Dem Künstler gelingt eine Art magische Mimesis, die nicht von ungefähr an die Praxis der Schamanen erinnert, in der die Kopie die Kraft des Originals an sich ziehen soll (vergleiche dazu Mimesis und Alterität. Eine eigenwillige Geschichte der Sinne von Michael Taussig.)
Die schamanistischen Verkleidungen, derer sich der Künstler gerne bedient entstammen allerdings ganz unserer Medienwelt, wenn er wie Burt Reynolds im legendären Streifen Auf dem Highway ist die Hölle los mit goldenen Rolexuhren an beiden Handgelenken seine lautlosen Fahrzeuge über bekannte Rennstrecken steuert. Dieses ironische Spiel mit Rollen und Identitäten war schon lange vor der Entwicklung seiner Fahrzeuge ein Merkmal der künstlerischen Praxis von Johannes Langeder. Das hochkulturelle Gegenstück zum populären Filmcharakter war die Rolle des Stardirigenten im Frack, der ab 2000 die Linzer Philharmonie dirigierte, ein Orchester aus einigen musikalisch gebildeten, und vielen, weniger begabten Akteuren, denen er gleichwohl anspruchsvolle Leistungen abverlangte. Richard Wagners Walkürenritt, Symphonien von Beethoven und Mozart gelangten in Konzerthallen oder Funkhäusern zur Aufführung. Diese Rolle schien Langeder wie auf den Leib geschneidert und zu bestätigen, was Arnold Schönberg 1950 an einen französischen Musikliebhaber schrieb: Ich meine: Es ist nicht der Berufsmusiker, der Musiker, der von seiner Kunst lebt, der nötig ist, um die musikalische Kultur aufrecht zu halten, sondern es ist der Amateur, und es ist immer der Amateur gewesen, der wirkliche Kunstpflege gefördert hat. Auch die Publikumsreaktionen auf die Leistungen des Amateurorchesters zeigten, dass es Langeder mit seiner Mimikrytaktik gelingt, die konventionellen Wahrnehmungsmuster aufzubrechen und auf subversive Weise bestehende kulturelle Zeichensysteme zu unterlaufen.Der Künstler streift sich diese entgegen gesetzten Andersheiten über, gleichsam um mit Hilfe der Mimesis ein sinnliches Wissen in unserer Zeit zu sondieren, ein Wissen, das an der Oberfläche der Dinge liegt, dessen wirklichkeitsnahes Kopieren verstört und überwältigt, da es zu phantastischen Gebilden führt. (Taussig) Zwei solcher phantastischen Gebilden können uns jetzt im städtischen Verkehr unerwartet begegnen: Ferdinand und Fahrradi.

Andrea van der Straeten ist Künstlerin und Professorin an der Kunstuniversität Linz, wo sie seit 2002 die Experimentelle Klasse leitet.